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EnergiewendeEnergiepolitik„Bürgerenergie ist kein Nischenthema mehr“

„Bürgerenergie ist kein Nischenthema mehr“

Das Bündnis Bürgerenergie (BBEn) setzt sich seit 2014 bundesweit für die Belange von kleinen, lokalen Energieprojekten in Bürgerhand ein, sowohl als Fürsprecher im politischen Berlin, wie auch mit Leitfäden und Workshops bei der praktischen Arbeit vor Ort. Greenpeace Energy ist fast seit Anbeginn Mitglied im BBEn – und mit Politikchef Marcel Keiffenheim seither auch im Aufsichtsrat des Bündnisses vertreten. Jetzt endet Keiffenheims Amtszeit. Mit ihm und seiner Nachfolgerin im Aufsichtsrat des BBEn, Ariane August, blicken wir im Interview auf vergangene Erfolge und kommende Herausforderungen.

Frage: Ariane, Marcel, starten wir mit einer Definitionsfrage: Was ist „Bürgerenergie“ eigentlich aus Eurer Sicht? Und wie hat sich das, was diesen Begriff umfasst und ausmacht in den letzten Jahren verändert?

Marcel Keiffenheim: Die Bürger*innen waren in den letzten 20 Jahren die entscheidenden Treiber der Energiewende – ohne sie wären wir nicht so weit gekommen. Ich finde es immer noch beeindruckend, wie viel Engagement es in lokalen Initiativen gab und gibt. Oft ehrenamtlich, nicht profitorientiert und mit dem klaren Ziel, die Energiewende nicht nur ökologisch, sondern auch dezentral, partizipativ und demokratisch zu gestalten. Wenn wir den Ausbau erneuerbarer Energien nur den großen Unternehmen überlassen hätten, dann wären wir heute längst nicht so weit.

Ariane August, Politikreferent bei Greenpeace Energy ist neu in den Aufsichtsrat beim Bündnis Bürgerenergie gewählt worden. Foto: Christine Lutz / Greenpeace Energy

Ariane August: Ganz zu Anfang waren es vor allem einzelne Pionier*innen, die die Energiewende vorangetrieben haben, heute ist das natürlich vielfältiger – auch viele junge Menschen begeistern sich für dezentralen Ökostrom. Die wollen flexibel, vernetzt, unabhängig sein, vertrauen nicht mehr den großen Anbietern, sondern wollen ihre Energieversorgung selbst in die Hand nehmen – und dabei natürlich auch das Klima schützen. Gerade in Städten wie Berlin, Hamburg und München gibt es immer mehr Menschen, die sich auch und gerade als Mieter*in einer Wohnung für Solarenergie auf dem Dach interessieren. Und wäre nicht gerade Corona, würden die Leute in diesem Sommer noch viel öfter bei den beliebten „Solarpartys“ zusammen feiern und sich dabei über neueste PV-Technik, Energie-Apps oder Ladekarten fürs E-Auto austauschen.

Frage: Marcel, Du bist im Mai 2015 Aufsichtsrat im damals noch recht neuen Bündnis Bürgerenergie geworden. Was war für Dich zu der Zeit die Motivation, Dich hier neben Deinem Job bei Greenpeace Energy auch dort zu engagieren?

Marcel Keiffenheim auf einer Konferenz des BBEn im Jahr 2014. Fotos (2): Christoph Rasch / Greenpeace Energy eG

Marcel Keiffenheim: Diese Zeit markierte so etwas wie eine Zeitenwende für Bürgerenergie-Akteur*innen. Bis dahin konnten sie alle gut und sicher mit dem EEG und den zugesicherten Vergütungen für ihre Ökostrom-Anlagen arbeiten und kalkulieren. Mit der EEG-Reform, die der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) 2015 vorlegte, sollte sich das ändern, die Bürgerenergie sollte fortan in Ausschreibungen gegen Konzerne und Großprojektierer antreten. Für mich drohte ein Paradigmenwechsel, bei dem die Bürgerenergie klar den Kürzeren ziehen würde. Ich wollte gezielt daran mitarbeiten, hier Schaden von dieser wichtigen Zielgruppe abzuwenden, auch im Gespräch mit der Politik. Das Bündnis Bürgerenergie war und ist dafür genau die richtige Plattform, in der eine Energiegenossenschaft wie Greenpeace Energy natürlich perfekt andocken kann. Insofern haben sich beide Tätigkeiten auch bestens ergänzt.

Frage: BBEn-Aufsichtsrat zu sein, das ist ja kein rein „repräsentatives“ Amt, sondern Du hast das Bündnis auch inhaltlich deutlich mitgeprägt, hast wichtige Studien angeschoben und politische Entwicklungen kommentiert. Was hast Du während Deiner Zeit beim Bündnis konkret erreichen können? Was würdest Du als Erfolge für die Energiewende in Bürger*innenhand verbuchen?

Bürgerenergie-Akteur*innen mit eigenem Windpark.Foto: Jörg Farys / BBEn

Marcel Keiffenheim: Ich denke, dass Wichtigste war, dass wir im Bündnis dazu beigetragen haben, die Bürgerenergie der Energiewende-Anfangsjahre, die vielleicht bei Manchen auch ein etwas altbackenes Image hatte, auf einen echten Zukunftspfad zu heben, auch im Bewusstsein von Medien, Öffentlichkeit und Politik: Wir haben Visionen und konkrete Konzepte vorgelegt, wie jede*r von uns Ökoenergie-Akteur*in werden kann – nämlich, indem er oder sie beispielsweise selbstproduzierten Solarstrom ohne Bürokratie-Hürden speichern, selbst verbrauchen oder auch weiterverkaufen kann. Da gehen Energiewende und Sharing-Economy Hand in Hand, das ist so eine Art „Bürgerenergie 2.0“ – und dass sich zuletzt auch die EU dieses Ziel auf die Fahnen geschrieben hat und die aktiven Energiebürger*innen stärkt, das ist schon eine schöne Bestätigung.

Bürgerenergie-Konvent 2014
Bürger*innen im Mittelpunkt: Das BBEn bietet mit Konferenzen und Publikationen auch Hilfestellungen für die Praxis an.

Ariane August: Unser Engagement für die Bürgerenergie ist ja kein Selbstzweck, keine Klientel-Politik – sondern es geht darum, alle am Umbau unserer Energieversorgung teilhaben zu lassen. Die EU spricht von einer „Revolution“ im Energiebereich, wobei Bürger*innen in den Mittelpunkt der Produktion erneuerbarer Energien gestellt werden sollen. Das ist der Aufbruch in eine „neue Welt“ der Energieversorgung, wenn man so will. Hier ist aber der Knackpunkt: Die aktuelle Bundesregierung verharrt in bisherigen Strukturen, während Spanien und Österreich hier bereits mutiger vorangehen. Es ist mir daher wichtig, für kluge, neue Rahmenbedingungen zu kämpfen, die gerade private Investitionen in Erneuerbare Energien anreizen. Denn um die Klimaziele zu erreichen, ist jede Anlage wichtig. Daher ist es richtig, die dezentrale Energiewende in Bürger*innenhand gezielt zu fördern. 

Frage: Ariane, die BBEn-Mitgliederversammlung hat Dich gestern zur neuen Aufsichtsrätin gewählt. Glückwunsch dazu! Die inhaltliche Arbeit des Bündnisses begleitest Du als Politikreferentin bei Greenpeace Energy ja schon seit Längerem. Aus Deiner Sicht: Wie haben sich – vielleicht auch durch Eure Arbeit im Bündnis – die Bedingungen für lokale Energie-Akteure verändert? Und welches Standing hat die Bürgerenergie heute?

Ariane August bei der Aktion des Bündnis‘ Bürgerenergie vor dem Bundeswirtschaftsministerium. Foto: Jörg Farys / BBEn

Ariane August: Das Bild ist gemischt. Ja, EU-Parlament und Kommission wollen Verbraucher*innen und „Prosuming“ stärken – aber in Deutschland warten wir bis jetzt vergeblich darauf, dass die Richtlinie aus Brüssel entsprechend in nationales Recht übertragen wird. Die Inhalte im jüngsten Entwurf zur EEG-Novelle sind aus meiner Sicht nicht mutig genug. Denn Bürger*innen wird noch immer erschwert, in die Energiewende zu investieren. Ein Beispiel: Im aktuellen EEG-Entwurf wird Betreiber*innen kleiner Anlagen eine Einbaupflicht für teure Messsysteme vorgeschrieben. Das ist ökonomisch nicht sinnvoll und schreckt viele Leute ab, zu „Prosumer*innen“ zu werden, also den eigenen Strom zu produzieren, zu speichern, zu verkaufen oder selbst zu verbrauchen. Hier bräuchten wir dringend Ausnahmeregelungen für kleinere Anlagen generell, aber vor allem für diejenigen, deren Anlagen ab 2021 keine EEG-Vergütung mehr erhalten werden. Das zeigt, wie viel politische Arbeit hier noch nötig sein wird. Daher ist es gut, dass das Bündnis nicht nur bei der Politik längst zu einem etablierten Gesprächspartner geworden ist, dessen Anliegen auch immer wieder Gehör finden. Sondern, dass man auch Druck erzeugen kann, mobilisieren kann: Anfang September erst hat das BBEn eine Petition mit 140.000 Unterschriften an das Wirtschaftsministerium übergeben, in der wir forderten, den Solarausbau zu stärken. Das zeigt: Auch, wenn wir immer noch viele politische Baustellen angehen müssen – ein „Nischenthema“ ist Bürgerenergie nicht mehr.

MEHR INFOS zur Arbeit und den Angeboten des Bündnis‘ Bürgerenergie (BBEn) finden Sie hier.

 

 

 

 

Christoph Rasch
Christoph Rasch
Arbeitete lange als Journalist und Autor für Tageszeitungen, Magazine und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit dem Frühjahr 2014 im Bereich Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy tätig.