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Klima schützenGesellschaft & InitiativenInterview: Wie die Corona-Krise den ökologischen Umbau unserer Wirtschaft beschleunigen kann

Interview: Wie die Corona-Krise den ökologischen Umbau unserer Wirtschaft beschleunigen kann

Holger Bär und Matthias Runkel sind als als wissenschaftliche Referenten beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) tätig. Sie arbeiten dort unter anderem zur Gestaltung umweltpolitischer Instrumente, dem Übergang zu einer Green Economy und der Förderung erneuerbarer Energiequellen. In einer von Greenpeace beauftragten Studie haben sich die beiden Experten der Frage gewidmet, wie die deutsche Wirtschaft nachhaltiger und klimafreundlicher aus der Corona-Krise hervorgehen könnte.

Frage: Herr Bär, Herr Runkel, Sie schlagen vor, kurzfristige Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise mit einem grünen Strukturwandel verknüpfen. Wie kann das ganz konkret aussehen, etwa im Energiesektor?

Holger Bär: Die Ziele sind klar: Die Potenziale für Energieeffizienz ausschöpfen und die Energieversorgung dekarbonisieren, und zwar in allen Bereichen: Strom, Wärme, Verkehr und Industrie. Eine Verknüpfung von Kurz- und Langfrist in diesen Sektoren heißt also: wie können wir den Übergang beschleunigen, um kurzfristig Beschäftigung zu sichern und den langfristigen Strukturwandel voranzutreiben. Ganz konkrete Beispiele wären: PV-Deckel abschaffen, Ladeinfrastruktur für Elektromobilität schneller ausbauen, Investitionen in die energetische Gebäudesanierung verstärken. All diese Maßnahmen bringen die Energiewende voran und sind Motoren für Wirtschaft und Beschäftigung.

Matthias Runkel (links) und Holger Bär haben in ihrer Untersuchung analysiert, welche Weichen gestellt werden müssten, um die Potenziale der Corona-Krise für einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft zu nutzen. Fotos: FÖS

„Die Ziele sind klar: Die Potenziale für Energieeffizienz ausschöpfen und die Energieversorgung dekarbonisieren, und zwar in allen Bereichen.“

Und ist ein krisenbedingt niedriger Ölpreis für die Energie- und Effizienzwende eher hilfreich oder schädlich?

Holger Bär: Kurzfristig ist der niedrige Preis noch wenig bedenklich, weil die Nachfrage weitestgehend eingebrochen ist und aktuell nicht vom Preis bestimmt wird. Langfristig niedrige Preise für fossile Energieträger senden aber das falsche Signal und könnten die weltweiten Investitionen in den Ausbau erneuerbaren Energien bremsen. Ein effektives CO2-Preissignal ist essentiell, damit wirtschaftliche Entscheidungen den Klimaschutz mitdenken können –  und in Zeiten niedriger Weltmarktpreise sind sie erst recht notwendig. Zudem könnten jetzt weltweit die klimaschädlichen Subventionen für Öl, Gas und Kohle abgebaut werden, da bei solch niedrigen Preisen die Akzeptanz dafür höher ist. Hier kann der Einbruch der Preise den stockenden internationalen Prozessen zum Subventionsabbau vielleicht neuen Schwung geben. Die eingesparten Mittel sollten dann genutzt werden, um arme Bevölkerungsschichten zu unterstützen, wenn Energiepreise wieder steigen.

Unsere Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Wochen ja bereits drastisch verändert: Mobiles Arbeiten zuhause, Dienstreisen entfallen – wie stark wird sich das in Zukunft fortsetzen? Und welche ökologischen Potenziale könnten hier gehoben werden?

Der Klimawandel wartet nicht: In der Corona-Krise müssen die Weichen für einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft gestellt werden.

Holger Bär: Die Krise ist gerade Prozessbeschleuniger für die Digitalisierung im Lernen und Arbeiten: Schulen und Universitäten schafften es, innerhalb von Wochen ihre Kurse online anzubieten. Auch in der Weiterbildung werden jetzt schnell Angebote digitalisiert und Unternehmen sind gezwungen, Neues auszuprobieren. Erfolgreiche Experimente werden dann auch nach der Krise bestehen bleiben. Langfristig werden einige von uns häufiger freiwillig von zuhause arbeiten, einige werden weniger pendeln und auf einige auf Dienstreisen verzichten. Kurzum: hier liegen auch Potentiale für den Umweltschutz. Wer wie stark von solchen Chancen profitieren kann, das variiert natürlich stark zwischen Branchen und Tätigkeitsfeldern. Übrigens: die jetzt „erzwungene Digitalisierung” zeigt auch auf, wo Chancen liegen, die Spaltung zwischen Stadt und Land langfristig wieder zu reduzieren: je besser wir digital auch “vom Dorf aus” arbeiten können, desto attraktiver werden Dörfer für Menschen, die nicht in den Großstädten leben “wollen”, dies aber aus beruflichen Gründen müssen.

Die Corona-Krise trifft Deutschland ja bereits mitten im Strukturwandel – weg von Atom und Kohle. Welche Chancen bieten die Umwälzungen durch die Corona-Krise hier, etwa in punkto Weiterbildung/ Umschulung für Betroffene oder überhaupt die Bereitschaft, vieles bisher Einspielte völlig neu zu denken?

Eine realistische CO2-Bepreisung und der Abbau von Subventionen und Vergünstigungen für besonders klimaintensive Wirtschaftszweige sollten jetzt eingeleitet werden.

Holger Bär: Die Krise und der wirtschaftliche Neustart danach können uns helfen, den Strukturwandel zu beschleunigen und dessen Chancen zu nutzen. Investitionen in den Ausbau der Erneuerbaren, in Stromspeicher, Ladeinfrastruktur, etc. können Beschäftigung sichern und zu Klimaschutz im Strom und Verkehr beitragen. Für einige Menschen kann die Krise jetzt auch die Möglichkeit bieten, sich für die Jobs von morgen weiterzubilden – etwa wenn sich Kfz-Mechaniker jetzt mit Elektromobilität auseinandersetzen. Die Bundesregierung hat im März im „Arbeit-von-morgen“-Gesetz auch die Förderung von solchen Weiterbildungen verbessert. Jetzt ist vor allem die Frage, wie schnell die Bildungsträger ihre Präsenzveranstaltung digitalisieren und Abschlussprüfungen in die Zeit nach der Krise verschieben können. Der ab 2021 kommende CO2-Preis verstetigt dann diesen Strukturwandel: Er schafft wirtschaftliche Vorteile für klimafreundliche Unternehmen und Technologien , die wir jetzt und in den nächsten Jahrzehnten in der ganzen Welt dringend brauchen werden.

Nicht alle gut gemeinten Maßnahmen der Politik sind auch gut gemacht – Beispiel Abwrackprämie, die einst eher mehr hochmotorisierte CO2-Schleudern auf die Straßen brachte. Was sollte die Politik bei langfristigen Weichenstellungen grundsätzlich beachten?

Matthias Runkel: Bei allen kurzfristigen Ängsten dürfen wir unsere langfristigen, ebenfalls existenziellen Herausforderungen nicht vergessen. Es darf kein entweder oder sein. Sowohl für Corona als auch für das Klima gilt, dass die Lösungen umso teurer und schwieriger werden, je länger wir warten. Da wir wissen, was etwa mit unseren Klimazielen 2030 nicht mehr zu vereinbaren ist, muss das bereits heute maßgebend für langfristig wirkende Maßnahmen sein.

„Sowohl für Corona als auch für das Klima gilt, dass Lösungen umso teurer und schwieriger werden, je länger wir warten“

Sie haben in der Studie auch frühere Krisen untersucht, etwa die Finanzkrise ab 2008. Damals fiel ein Thema wie Klimaschutz weitgehend unter den Tisch. Wie optimistisch können wir sein, dass sich das nach Corona nicht wiederholt?

Signale, die Mut machen: Die letzte große Fridays-for-Future-Demo in Hamburg vor dem Corona-Lockdown. Foto: Enver Hirsch / Greenpeace Energy eG

Holger Bär: Im April 2008 lag die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bei 387 ppm; im April 2020 bei fast 416 ppm. Die Klima-Bewegung ist auch dank „Fridays for Future“ vermutlich stärker und präsenter als vor zwölf Jahren. Aber auch andere Akteure machen Mut. Die EU hat gerade Forderungen nach im April eine geforderte „Verschiebung” des Green Deals und eine Aussetzung des EU-Emissionshandels zurückgewiesen – und auch aus einigen Bereichen der Wirtschaft hören wir Stimmen, die davor warnen, jetzt den Klimaschutz zu vergessen.  Die beschlossenen Soforthilfen machen deutlich, dass ein entschiedenes Handeln von Politik und Gesellschaft möglich ist, wenn es darauf ankommt. Beim Klimaschutz ist der Zeitdruck schwieriger zu vermitteln – es steht aber mindestens genauso viel auf dem Spiel. Hoffentlich können wir aus der Coronakrise auch etwas für die Klimakrise lernen.

„Auch aus einigen Bereichen der Wirtschaft hören wir Stimmen, die davor warnen, jetzt den Klimaschutz zu vergessen.“

Auch die Gegner der Energiewende nutzen die Gunst der Stunde – und verkaufen alte Forderungen jetzt als notwendige Krisenmaßnahmen, etwa: die Wirtschaft nicht zusätzlich mit Emissionskosten oder CO2-Grenzwerten zu belasten. Wie groß ist die Gefahr, dass nach Corona eher ein umweltpolitischer „Rollback“ stattfinden könnte? Und was entgegnen Sie diesen Argumenten aus wissenschaftlicher Sicht?

Matthias Runkel: Wir brauchen ein positives Narrativ, eine Zukunftsvision, die im Klimaschutz eine große Chance sieht – mit Investitionen in den Strukturwandel, für neue Arbeitsplätze und für die europäische und internationale Zusammenarbeit, ohne die der Klimaschutz nicht erfolgreich sein kann.  Den wichtigen Strukturwandel zu bremsen wäre genau das falsche Signal. Auch viele Unternehmerinnen und Unternehmer wissen: Erfolg in der Zukunft klappt nur mit Klimaschutz, Digitalisierung und Ressourceneffizienz. Wir sollten und können einen „Rollback” – wie er beispielsweise schön länger und auch jetzt in der Krise in den USA stattfindet – verhindern. Wichtig wird dabei auch sein, wie gerecht die Krisenbekämpfung wahrgenommen wird. Bei einigen besonders klimaschädlichen Industrien –  Billig-Airlines etwa, oder Kreuzfahrten – sieht man gerade deutlich deren mangelnde Nachhaltigkeit, ökologisch wie finanziell. Die Branchen profitieren zum Teil ohnehin schon von hohen umweltschädlichen Subventionen und zahlen nicht für die von ihnen verursachten Umwelt- und Klimaschäden. Und jetzt müssen sie zusätzlich mit öffentlichen Geldern gerettet werden. Trotzdem wäre es falsch, diese Unternehmen und vor allem ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jetzt wirtschaftlich untergehen zu lassen in der Krise. Für sie vorgesehene Hilfen sollten vielmehr an Bedingungen geknüpft werden –  etwa Bewegung beim Subventionsabbau und die stärkere Beteiligung an der Finanzierung des Gemeinwesens, Stichwort Kerosinsteuer.

Herr Bär, Herr Runkel, danke für das Gespräch!

Christoph Rasch
Christoph Rasch
Arbeitete lange als Journalist und Autor für Tageszeitungen, Magazine und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit dem Frühjahr 2014 im Bereich Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy tätig.