Brüssel darf Atombeihilfen für ungarisches AKW Paks II nicht ungeprüft lassen

Die Europäische Kommission hat entschieden, gegen Ungarn ein Verfahren wegen einer fehlenden Ausschreibung für das AKW-Projekt Paks II zu eröffnen. Laut Medienberichten will Brüssel deshalb nun die ungarische Regierung auffordern, keine weiteren Verträge für das Atomprojekt abzuschließen. Nicht untersuchen will die Kommission aber, ob die geplanten Milliarden-Beihilfen für Paks II gegen EU-Wettbewerbsrecht verstoßen. 

Sönke Tangermann, Vorstand bei Greenpeace Energy. Foto: Christine Lutz / Greenpeace Energy eG

Die Energie-Genossenschaft Greenpeace Energy fordert die Kommission deshalb dringend auf, jetzt auch ein entsprechendes beihilferechtliches Prüfverfahren auf den Weg zu bringen.„Beim geplanten Finanzierungspaket für Paks II handelt es sich – ähnlich wie beim AKW-Projekt Hinkley Point C in Großbritannien – um eine illegale und unfaire Beihilfe ganz im Sinne der Atomindustrie“, sagt Sönke Tangermann, Vorstand bei Greenpeace Energy. „Nachdem die Kommission bereits die britischen Atombeihilfen leichtfertig durchgewunken hat, darf sie jetzt nicht vor den ungarischen Begehrlichkeiten mit russischer Technologie und russischem direktem nuklearem Engagement einknicken“, so Tangermann.

Wie im Fall von Hinkley Point C, gegen dessen Subventionierung Greenpeace Energy und weitere Unternehmen aus Deutschland und Österreich klagen, führen auch bei Paks II die enormen staatlichen Beihilfen zu einer Verzerrung des europäischen Strommarkts. Der geplante Ausbau grenzüberschreitender Stromleitungen in den kommenden Jahren wird diese nachteiligen Preiseffekte voraussichtlich verstärken. „Das Projekt Paks II wäre ein weiteres europäisches Beispiel dafür, dass die riskante Atomkraft auch nach mehr als 60 Jahren nicht wirtschaftlich ist, sofern sie nicht durch exorbitante staatliche Zahlungen gestützt wird“, sagt Greenpeace-Energy-Vorstand Tangermann. „Bleibt die Kommission bei ihrer passiven Haltung, muss Greenpeace Energy als betroffenes Unternehmen eigene rechtliche Schritte prüfen.“

Der staatliche ungarische Energiekonzern MVM plant am Standort Paks, 470 Kilometer von Deutschland entfernt, den Bau von zwei russischen Druckwasserreaktoren vom Typ AES 2006 mit einer Gesamtkapazität von 2.400 Megawatt. Ein transparentes Auswahlverfahren gab es im Vorfeld nicht. Der Neubau Paks II soll rund 12,5 Milliarden Euro verschlingen, von denen zehn Milliarden Euro von russischen Kreditgebern und weitere 2,5 Milliarden aus dem ungarischen Haushalt stammen sollen.

Die Wahl des russischen Reaktormodells für Paks II geht nicht auf eine transparente Prüfung anhand einer Anforderungsliste der ungarischen Atomaufsicht zurück – oder auf eine überzeugende Leistung im Vergleich mit anderen Modellen. Informationen zu den verwendeten Reaktoren stammen fast ausschließlich vom russischen Hersteller. „Dass Brüssel nun die fehlende Ausschreibung offiziell prüfen will, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit“, sagt Sönke Tangermann, „es wirkt aber angesichts der vielen weiteren Fragezeichen bei diesem Projekt eher wie ein europarechtliches Feigenblatt.“

Hintergrund: Im April 2015 eröffnete das ungarische Landwirtschaftsministerium eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), bei der die ökologischen Folgewirkungen des Neubaus auch auf umliegende Länder untersucht werden. Auch Greenpeace Energy hatte im Rahmen dieses Verfahrens eine Stellungnahme abgegeben. Darin äußerte die Energie-Genossenschaft unter anderem Zweifel, dass der AKW-Betreiber MVM und der ungarische Staat im Falle eines Atomunfalls angemessen reagieren können. Auch bisherige grenzübergreifende Katastrophenschutzübungen ließen laut Greenpeace Energy nicht auf ein annähernd angemessenes Reaktionsvermögen im Ernstfall hoffen. Ausreichende Möglichkeiten, um für Schäden in den Nachbarstaaten aufzukommen, scheinen nach Ansicht der Energie-Genossenschaft ebenso unwahrscheinlich. Im Falle eines Unglücks in Paks wäre laut Experten auch in Deutschland mit erheblicher radioaktiver Strahlenbelastung zu rechnen.

Christoph Rasch
Arbeitete lange als Journalist und Autor für Tageszeitungen, Magazine und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit dem Frühjahr 2014 im Bereich Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy tätig.