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EnergiewendeAnti-AtomkraftPolen: Erneuerbare günstiger als geplante AKW

Polen: Erneuerbare günstiger als geplante AKW

Polen will den Anteil der klimaschädlichen Kohle am nationalen Strommix bis 2030 von 80 auf 62 Prozent senken. Ein aktuelles Regierungsdokument namens PEP2040 benennt laut Medienberichten dafür zwei mögliche Pfade: Laut der ersten Variante sollen Kohlekraftwerke ab den 2030er Jahren vor allem durch neue Atomkraftwerke mit einer Leistung von mindestens 6.000 Megawatt ersetzt werden, während der Zubau von Windenergie an Land zurückgefahren werden soll. In einem zweiten Szenario empfehlen die Regierungsberater allerdings, auf Atomkraft ganz zu verzichten und stattdessen auf einen Energiemix aus erneuerbaren Energien und Gas zu setzen – mit weniger Risiken und zu geringeren Systemkosten. Eine vom Ökoenergieanbieter Greenpeace Energy beauftragte Studie des Berliner Analysehauses Energy Brainpool zeigte bereits 2018, dass eine rein erneuerbare Stromerzeugung  bei gleicher Versorgungssicherheit in Polen günstiger wäre als der Bau eines neuen Atomkraftwerkes.

Baustelle des AKW Hinkley Point C in Großbritannien. Foto: JiriRezac / Greenpeace

Denn: Aktuelle AKW-Projekte schlagen mit Kosten von bis zu 126 Euro pro produzierter Megawattstunde zu Buche. Diese Kostenabschätzung orientiert sich an Referenzprojekten wie Flamanville in Frankreich oder Hinkley Point C in Großbritannien. Kostenrisiken für mögliche Störfälle oder die Lagerung des anfallenden Atommülls sind dabei noch nicht einmal eingepreist. Planwerte von deutlich unter 100 Euro pro Megawattstunde sind nicht realistisch, wie aktuelle Projekte zeigen – zumal, wenn bei Bau und Betrieb der Anlagen die derzeit geltenden europäischen Sicherheitsstandards eingehalten werden sollen.

Die Stromgestehungskosten eines steuerbaren Erneuerbaren-Systems können in Polen deutlich unter den Referenzkosten für neue Atomkraftwerke sinken – und das bei gleicher Versorgungssicherheit. Denn das untersuchte Erneuerbaren-System besteht aus Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen, deren Stromüberschüsse per Elektrolyse in erneuerbaren Wasserstoff umgewandelt werden. Dieses „Windgas“ dient als Speichermedium und kann bei Bedarf – etwa nachts oder bei längeren Windflauten – in teils eigens gebauten Gaskraftwerken wieder in Strom umgewandelt werden. Ein solches flexibel einsetzbares Kraftwerks- und Speichersystem kann selbst bei derzeit teuren Finanzierungsbedingungen mit geplanten Atomprojekten in Osteuropa konkurrieren: Die Stromgestehungskosten lägen für Polen bei weniger als 112 Euro. Diese  Kosten können noch deutlich sinken, wenn man weitere Flexibilitätsoptionen wie Batteriespeicher oder Lastverschiebung mit dem Windgas-System kombiniert.

Ein Gesamtsystem mit Wasserstoff (im Bild: Elektrolyse-Anlage bei Prenzlau) als flexiblem Speicher wäre deutlich günstiger als neue AKW-Bauten. Foto: Christoph Rasch / Greenpeace Energy eG

Würden zudem mehrere benachbarte EU-Staaten – in diesem Fall etwa Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei – das Modell des steuerbaren Erneuerbaren-Kraftwerks gemeinsam aufgreifen und enger zusammenarbeiten, indem sie das entstehende Elektrolysegas je nach Bedarf über das grenzüberschreitende Gasnetz verteilen, sowie außerdem die Finanzierungsbedingungen für erneuerbare Energien verbessern, so könnten laut Brainpool-Studie die Kosten des Windgas-Erneuerbaren-Systems in diesen Ländern sogar auf bis zu 100 Euro absinken.

Tabelle: Kostenvergleich Atomkraft vs. steuerbares Erneuerbaren-System (Quelle: Energy Brainpool)

Castoren im Zwischenlager. Die Kosten für die Entsorgung von Atommüll sind meist nicht oder nur unzureichend in die Kostenkalkulation neuer AKW-Projekte eingepreist. Foto: Greenpeace

Auch die Autoren des polnischen Strategiepapiers erwähnen in ihrer Expertise den grenzüberschreitenden Energieaustausch als ein Instrument, um die Kosten für die Energieversorgung Polens niedrig zu halten. Sie merken zudem an, dass die geplante Energiepolitik Polens auch die Strommärkte von benachbarten EU-Staaten stark beeinflusst. So dürfte der Bau eines hochsubventionierten Atomkraftwerks in Polen zu preisverzerrenden Effekten an den Strombörsen der Nachbarländer führen. Diesen Effekt hat Energy Brainpool im Auftrag von Greenpeace Energy bereits 2015 für europäische Atomkraft-Projekte berechnet. Zusammen mit weiteren derzeit in Europa geplanten oder in Bau befindlichen AKW-Projekten würde der über die Grenze gehandelte polnische Atomstrom die Strombörsenpreise in Deutschland demnach um knapp 12 Prozent oder 5,70 Euro pro Megawattstunde senken. Dies würde eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Anbieter von erneuerbaren Energien und der Betreiber von Ökostrom-Anlagen bedeuten, die ihren Strom nicht über die Börse handeln.

Downloads Die Studie von Energy Brainpool steht in deutscher und englischer Fassung unter https://bit.ly/2FfsRJe zum Download bereit. Unter https://bit.ly/2EQ2snf finden Sie mehr zu den marktverzerrenden Effekten von geplanten Atomprojekten in Europa am Beispiel von Hinkley Point C.

Christoph Rasch
Christoph Rasch
Arbeitete lange als Journalist und Autor für Tageszeitungen, Magazine und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit dem Frühjahr 2014 im Bereich Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy tätig.